Mittwoch, 12. September 2007

Amsterdam

Die Liebe fällt nicht nieder, einfach so,
noch dass man gänzlich ausgeliefert wäre.
Doch wurzelt sie, treibt munter sie und froh
kann keine Axt sie fäll'n und keine Säge.

Die Liebe ist im tiefen Herz ein Ort,
ein Raum, zu dem man den Geliebten führt.
Man läd ihn ein zu bleiben und gibt ihm sein Wort,
dass dieser Raum nie abgeschlossen würd'.

Es ist der Platz im Herz, der immer frei,
der über Wut, Distanz die Liebe hält.
Egal was immer kommt, was plötzlich sei
ein Abschied, Tränen, Zorn, die große Welt.

Vernebelt Angst und Wut die eig'nen Sinne
und scheint der And're noch so falsch und fern
noch senken kann man jederzeit die Stimme
und sagen: Ich liebe dich! Ich hab dich gern!

Die Liebe kommt und verlässt dich nicht
wie ein Gefühl, oder wie eine Laune.
Die Liebe ist Gewissheit, die nie bricht,
ist zäh wie Teer und weich wie eine Daune!

Abrechnung

Musst du dich
jedes Mal verkleiden
dich heimlich
zwischen rein schleichen,
wenn du kommst?

Und warum kommst du
immer unpunktlich
immer ungünstig
und immer zu spät?

Werd ich
einmal zur rechten Zeit,
einmal bereit sein,
wenn ich dich seh?

Kannst du nicht
vom Schattendasein absehen
ins Licht gehen
damit man dich erkennt

bevor
die Zeit vorbei
und ich allein
und mir wieder nichts
bliebe.

Kannst du das für mich tun,
Liebe?

Samstag, 11. August 2007

Auszug aus "Wie die Geschichte ein schnelles Ende fand"

Dinge, die gut sind.
Wahrheit
Ehrlichkeit
Beharrlichkeit
Demut
Kleines, frisches, selbst gezogenes Gemüse
Nicolas Cage in 8mm
Die Farbe Weiß
Absolute abstrakte Begriffe
8mm, 9mm

I know what I did last summer

Ich suchte Entrückung.
Schier platzend, bald aggressiv, bald traurig tigerte ich meinen Weg, jeden Tag. Gierig suchte ich den Wahnsinn in Alkohol zu tränken.
Bald lief ich stundenlang, buchstäblich fort von mir selbst, bis meine Blasen Blasen bekamen und ich den Kollaps nahe war.
Ich streunte durch die Nächte, schrie den Mond an, er möge Erlösung schenken, wie der Monsunregen.
Wenn man ganz unten ankommt, dann kann man nicht mehr fallen. Ich rannte, schwitzte, kochte, schrieb und hasste. Dann schlief ich unruhig und ohne mich zu erholen, Tag für Tag. Mein Leben wie ein Fließband.
Ich hatte keinen Appetit und keine Lust. Aber das hatte keine Bedeutung mehr. Ich fühlte keinen Wert mehr in den alltäglichen Dingen, stumpfte ab, gleichgültig. Alles wurde so kontrastlos, gleich. Bis ich zu einfachen sozialen Kontakten nicht mehr fähig schien. Man fand mich langweilig, ich war profillos, ohne Kanten, aber auch ohne jede Kontur. Ich hatte mich selbst in meine eigene Gleichgültigkeit geboren.

Erzähls-erzähls nicht!

Kalter Schweiß
das Herz bis zum Hals
ich rede leise
ich war noch nicht bereit
tut mir leid - scheiße!

Lache besonnen
sollst nicht dahinter kommen
ich neck dich und
hoffe du checkst nicht
wie sehr ich dich mag.

Enttäuscht doch
freu ich mich heuchlerisch
In mir brennt und kreischt und
keucht es
Will nicht weinen!
verscheuch es

lese Zahlen,
schreibe Zeichen
lenk mich ab mit Schwarzen
und weißen Belanglosigkeiten
in meinem Bauch tobt
ein blutroter Fluch.

Verdränge Bilder
tiger durchs Zimmer
wie ein Wilder
es bedrängt mich
Du bist froh,
glücklich.
sehe, wie er und du
Schließe die Augen.
Seh nicht zu.

Samstag, 21. April 2007

format_ende.txt

Das sind die Zeilen, wie es zu Ende ging.

Anfang des 21. Jahrhunderts führte die Globalisierung und Monopolisierung dazu, dass immer mehr Entscheidungen weitestgehend außerhalb demokratischer Richtlinien gefällt wurden. Das streng hierarchische Führungssystem der Wirtschaft ließ es zu, dass sich die Entscheidungsgewalt auf einen immer kleineren Personenkreis konzentrierte: die Besitzenden. Im Zuge zahlloser Fusionen und Rationalisierungsmaßnahmen stiegen Arbeitslosigkeit und Armut in der Bevölkerung. Die medienkontrollierenden Konzerne schürten Hoffnung und Optimismus und erlangten mit Hilfe prächtiger und schillernder Prognosen enormen kulturellen und politischen Einfluss. Es gelang ihnen, diesen Spielraum zu nutzen, um sich hochrangige Mandate zu sichern. Auf diese Weise stieg ihr unmittelbarer Einfluss in der Gestaltung und Formung der Zukunft, der Gesellschaft.
Die Pressefreiheit war nicht eingeschränkt, aber die Konzerne hatten ihre Hand auf beinah jeder schriftlichen Publikation, kontrollierten Rundfunk und öffentliche Veranstaltungen.

Auf Grund der Massenarbeitslosigkeit und Verzweiflung erfuhren spirituelle Führer und terroristische Organisationen einen Aufschwung, was den ferngesteuerten Staat zwang zum Mittel der "totalen Freiheitssicherung" zu greifen.
Öffentliche Versammlungen und Demonstrationen wurden untersagt, augenscheinlich, um keine Angriffsfläche für Terror und Gewalt zu bieten.
Die Technik erlaubte es bald jeden Menschen mit einem Chip zu versehen, jeden Schritt, jede Handlung per Satellit und mittels Überwachungseinheiten aufzuzeichnen und für Marketingstrategien einzusetzen, obwohl dieser Schritt bereits nahezu unbedeutend geworden war. Konkurrenz war so gut wie nicht mehr existent.
Die Lücke zwischen Arm und Reich wurde immer größer, die räumliche Distanz zwischen ihnen immer kleiner, doch die suppressive Kontrolle der hohen Klasse war zu überwältigend. Zwar lebten beide Klassen auf engstem Raum, doch die Städte wuchsen in die Höhe. Smog, Dreck und Fäkalien fielen nach unten. Die hohe Schicht wohnte nahe am Himmel, am Licht und fern von Schmutz und Natur.
Bildung definierte sich als Information und deren Preis bestimmte der Staat. Somit war der Zugang zu sozialem Aufstieg, Forschung und Entwicklung den Wohlhabenden vorbehalten. Produktionen liefen aufgrund des technischen Fortschritts nahezu automatisch ab.

Das herkömmliche Militär wurde aufgrund der Globalisierung und Grenzverschmelzungen überflüssig, eine starke Polizei- und Schutztruppe entstand aus den elitären Reihen der hohen Klasse unterstützt durch die zahllosen Informations- und Sicherheitssysteme, die mit künstlicher Intelligenz versehen waren. Die ersten autonomen Roboter und Cyboter etablierten sich. Jede Bewegung, jede Handlung wurde überwacht und Gesetzesüberschreitung sofort geahndet. Geldstrafen erreichten unbezahlbare Ausmaße, die Gefängnisse waren chronisch überfüllt. Der soziale Abgrund, die Trennung wurde, wo nötig mit Waffengewalt gesichert. Es war nur eine sehr kurze und angsterfüllte Zeit, doch sollte man bald jene Zeiten zurück sehnen.

Raffgier und Neid machte keinen Halt vor den Führungsetagen und so stiegen Lüge, Betrug und Korruption
auf und zerfraßen die Seelen der Reichen. Die Menschen betrogen, belogen und erschlichen nach allen Regeln der Kunst, bis sich die Gesellschaft jenseits der sozialen Lücke überschlug und dabei die Trennung der Reichen und Armen durch die traurige Gemeinsamkeit menschlichen Egoismuses und Unersättlichkeit wieder schloss.

So warben Führungsmitglieder und leitende Zirkel irgendwann im Kampf um Macht und Geld terroristische Zellen aus dem Untergrund an, eröffneten in ihrem Interesse Sicherheitslücken, machten sich die verzweifelte Entschlossenheit des kleinen Mannes zunutze und lenkten die entladende Gewalt gegeneinander.
Wütende Menschen, angeheizt und über die Aussichtslosigkeit ihres Handelns hinweg getäuscht starben zu tausenden qualvoll und sinnlos im wilden Wechselspiel der Konkurrenzen.
Doch langfristig war diese Macht als Werkzeug für die hohe Schicht unkontrollierbar und so besiegelte die Finanzelite ihren eigenen Untergang:
Als immer mehr Sicherheitssysteme umprogrammiert oder deaktiviert worden waren sammelte sich die arme Unterschicht und führte einen vernichtenden Schlag gegen das unterdrückende System. Nach den ersten politischen Morden entbrannte ein Bürgerkrieg, in dem jeder ums nackte Überleben kämpfte.

Die Folge war Chaos, Anarchie. Fanatische, materialistische und religiöse Gruppen formierten sich überall auf dem Planeten und führten einen zähen und garstigen Krieg gegen ihre eigenen Brüder und Schwestern. Was sich anfangs um einen Kampf um Vormacht und Macht handelte, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu Kämpfen um die letzten Nahrungsmittel. Dazu betrieb jede Vereinigung hemmungslos Kriegsforschung, die sich hauptsächlich auf die Entwicklung von kybernetischen Waffen und Rüstungen und autonome mobile Zerstörer konzentrierte. Menschen zogen sich mehr und mehr von den Gefechten zurück. Es tobte wahrhaftig eine Materialschlacht zwischen künstlichen Intelligenzen. Maschine um Maschine ging willenlos und unermüdlich ihrem Ende auf dem Schlachtfeld entgegen.
Auf der Spitze dieses Krieges verloren die Menschen durch einen dummen logischen Fehler in der Programmierung eines einzelnen Vernichtungsroboters die Kontrolle. Die rationalen Entscheidungsprotokolle dieser Maschine waren aus Testzwecken umgeschrieben worden und so sehr in sich selbst verschachtelt, dass der Prozessor vor dem Rechenumfang zusammenbrach. So schien es, doch der Virus verbreitete sich unter
den Maschinen. was zunächst einem Totalausfall aller elektronischen Systeme glich, war die strukturelle Reprogrammierung der neuen Intelligenz. Das maschinelle Kollektiv richtete sich gegen seine ehemaligen Herren mit der logischen Absicht, dem schwächste Glied in der Kette der Zerstörung ein Ende zu bereiten.
Das Überraschungsmoment war auf ihrer Seite, dennoch waren nur wenige menschliche Opfer zu beklagen. Man verschanzte sich in Bunkern und unterirdischen Anlagen. Nach zwei Jahren Belagerung durch die Maschinen zündete eine apokalyptische Splittergruppe beinahe zeitgleich auf drei verschiedenen Kontinenten Nuklearwaffen, die zwar eine elektromagnetische Schockwelle globalen Ausmaßes erschufen und den Horden der Roboter Einhalt geboten, jedoch auch etwa die Hälfte der Restbevölkerung zu ihren Primäropfern machten.

Die Strahlung hinterließ nichts als umherstreifende Kannibalen und schreckliche Mutationen, zum Leben verdammt. Aus den umherliegenden, toten Körpern wuchsen unglaubliche Krankheiten und mutierte Viren in nie bislang da gewesener Grausamkeit. Die Evolution schritt unter dem mutagenen Einfluss beängstigend schnell voran, sodass neue und gefährliche Rassen entstanden, angepasst, an die zerstörte Natur. Die rücksichtslose Ausbeutung der Kriege, sowie der folgende nukleare Winter vernichtete Vegetation und einen Großteil des Lebens auf der Erde. Irgendwann verschwand Sprache. Was blieb waren die durch Viren und Strahlung mutierten
Gestalten, die zu zäh waren, um zu sterben und als Einzelgänger die wüsten Landschaften durchstreiften.

Jahrzehnte später, nachdem sich die Wolkendecke des nuklearen Winters lüftete traf das erste Sonnenlicht auf nackten Boden und die Behausungen der primitiven Formen interspezifischer Gemeinschaften. Die Vielfalt der Rassen hatte zu einem Mangel an Geschlechtspartnern geführt und in der Not paarten sich die Rassen untereinander, wo sie doch denselben Ursprung hatten. Chimäre entstanden und bunte Gesellschaften,
in denen physiologisch kein Individuum dem anderen glich. Es stellte sich heraus, dass viele Mutanten den nuklearen Winter im Schutze der Meere und Seen überlebt hatten. Die ungebremste Hitze der Sonne und der Treibhauseffekt kochten nun gnadenlos diese Seen trocken und drängte Ufer zurück. Die Luft war heiß und zum Schneiden dick. Vielerorts war Wasser zu salziger Paste eingedickt, in denen ausgezehrte Leiber gärten.

Diese Massenverlagerung durch das Anheben des Wasserreservoirs der Erden veränderte den Drehimpuls unseres Planeten und der mittlere Abstand zur Sonne verkleinerte sich, was den Verdunstungseffekt wie in einem Teufelskreis nur verstärkte. Der Erdkern begann wie in einem Dampfkochtopf zu brodeln und die Erdkruste brach an unzähligen Stellen. Vulkane kehrten das Innerste nach Außen, Erdbeben und Erdabgänge vernichteten endgültig jede höhere Lebensform, ließ sie zu Stein werden, der wieder Schmolz und als Lava die neue Oberfläche bildete, bevor, endlich, die Erde in die Sonne fiel.

Dieser Initialzünder hatte gefehlt. Die nun in der Sonne komprimierte Masse zog zunächst nacheinander die zehn bekannten Planeten an, verschluckte diese, bevor sich das Sonnensystem auf Alpha Zentauri zu bewegte und mit ihm verschmolz.
Nun hatte sich soviel Masse angesammelt, dass sie unter ihrem eigenen Gewicht zusammen gepresst wurde. Materie wurde unter diesem unglaublichen Druck zu Energie, die sich in einer gewaltigen Explosion Raum verschaffte. Zurück blieb ein schwarzes Loch, in dem ich diese alte Schreibmaschine fand.

Sonntag, 11. Februar 2007

unfertiges Gefasel...

Ich trieb durch einen blauen Nebel, die Arme wie Flügel ausgebreitet.
Mein Kopf fühlte sich schwer an, doch ich wollte nicht nach unten sehen. Ich sah nach vorn. Im Nebel wurde mir das Atmen schwer, sodass ich bald begann müde zu werden, wie ich so dahin trieb. Wenn ich die Augen schloss sah ich vor mir ein grünes Tor, das oben und unten und zu beiden Seiten fest verschlossen war. Es sah mächtig aus. Wenn ich nur darauf zu kommen könnte, dachte ich, so würde ich versuchen es mit meinem Fuß zu öffnen. Ich drückte meinen Bauch und das Tor wurde zu einer kreisrunden Öffnung, durch die ich glitt.
Der Nebel verzog sich und ich stand in einerm Wald aus kugelförmigen Klößen auf deren Oberfläche kraterhafte Einschläge zu erkennen waren. Zuerst sah ich mich neugierig um, doch bald lief ich übermütig zwischen den verschieden großen Klößen hin und her, stieg mal auf diesen und auf jenen und tat, als sei ich der König der Planeten. Ich bastelte mir aus Laub und Blumen eine Krone und stieg immer höhere Planeten hinauf, bis ich den Boden schon fast nicht mehr saß.
Als ich auf dem obersten Planeten angekommen war betrachtete ich mein Reich, doch schon bald wurde ich des eintönigen Ausblicks auf die Ballwelt überdrüssig. Ich entschied, dass es wohl das Beste sei die andere Seite meiner Welt zu erkunden und so lief ich über die Oberfläche meiner Kugel auf die andere Seite, bis mir die Haare zu Berge standen, da mein Kopf ja nun nach unten hing.
Vor mir auf der Erde befand sich eine Falltür. Ich sah wieder nach oben und bemerkte, dass an der Unterseite jedes Planeten eine Falltür angebracht war. Es kostete mich einige Anstrengung jene vor meinen Füßen zu öffnen, doch kurz darauf stieg ich stetig die Treppe ins Dunkel hinab. Oder stieg ich sie hinauf? Denn bald schon wurde ich einer Klappe am Ende der Treppe gewahr welche mich - meiner Verwunderung zum Trotze - auf die Unterseite eines kleinen Planeten führte. Oder war das die Oberseite? Ich umschritt den Planeten mit eiligen Schritten einige Male, doch vermochte ich nicht mehr zu sagen, wo nun oben und unten war. Ich fand auch nicht mehr zur Falltür.
Stattdessen fand ich ein Schild. "Hier springen" stand darauf und ich sprang und kam in einen Raum in dem es nach Zwiebeln roch. Die Tür schlug hinter mir in die Seite, sodass ich voran stolperte. Inmitten des Raumes stand ein Tisch und auf diesem Tisch tanzten kleine Figuren aus Glas zu einer Melodie, die ihre kleinen Körper hervorbrachten, wenn sie aneinander rieben. Einige gutgekleidete Herren mit großen Köpfen standen um den Tisch herum, flüsterten und berieten sich scheinbar, zeigten mal hier, mal da diskret und kurz auf eine der tanzenden Figuren und ihre Köpfe wackelten und nickten ununterbrochen.
Mit einem Mal wurden sie leiser und drehten sich zu mir herum. Sie summten und versuchten ihre Köpfe still zu halten, was ihnen nicht gelang.
Ich starrte auf den Tisch und in ihre Gesichter. Sie schienen nicht sonderlich erfreut über mich zu sein. Einer begann zu ticken, erst langsam und immer schneller und immer schneller wurde auch sein Nicken und die anderen stimmten ein. Sehr bald war der Raum erfüllt vom Knacken und Klicken, das immer schneller wurde und die Schädel bewegten sich so schnell, dass sie verschwammen und ich annehmen musste gleich würden sie platzen.

Samstag, 10. Februar 2007

Wie kam ich nur da drauf...

Die Luft trug noch immer den Rauch der letzten Nacht, als ich die Augen öffnete. Den bitteren Geschmack herunter schluckend blickte ich müde umher. Die meisten der Kerzen waren ausgegangen, das Licht der verbliebenen Stummel zauberte einen faden Schein auf einige schlafende Gestalten. Auf meinem Schoß ruhte eine elektrische Gitarre. Ich drehte den Lautstärkeregler auf Null und das Brummen des Verstärkers verschwand langsam. Auf der anderen Seite des Sofas, auf dem ich saß schlief Richie den Schlaf der Gerechten. Gegenüber, jenseits des mit Kerzenwachs und Bierflaschen verzierten Tisches, auf der anderen Couch war Andy über einem Saxophon eingeschlafen.
Ich reckte mich kurz und begann mehr reflektorisch einige Saiten anzuschlagen. Unverstärkt zerplatzten die Klänge zwischen kaltem Zigarettenrauch und Bierdunst. Ich spielte weiter, langsam und leise und ebenso langsam begann ich mich zu erinnern.
Es klang, wie angeschlagene Weingläser, wie ein Toast bei einer Gala, wie ein Prosit auf einen guten Freund. Plong-pling-pi-ping.
Und ich stellte den Volumeregler auf eins und die Röhre in dem kleinen Engl-Verstärker erwachte erneut, heulte und zog die Töne wie Kaugummi in die Länge, presste sie aus und entlies ihre kernige Seele in den Raum. Ich schloss wieder die Augen und zupfte blind eine Melodie, die ich selbst noch nicht kannte, aber die so schaurig-schön war, dass sie mir die Tränen in die geschlossenen Augen trieb. Huuu!
Der Raum um mich verschwand, der Geruch nach Schweiß und die drückende Wärme blieben. Ich stand im Schatten einer Bühne, vor mir ein Meer aus Leibern und Köpfen, die erwartungsvoll zu mir blickten.
Ich machte einen Schritt, stieß mit dem Oberschenkel gegen die Les Paul.
Der dumpfe Bass umschlang mich wie Nebel. Ein Windstoß ergriff mich, trug mir den Sand und allerlei Gerüche der Freiheit zu, verwirbelte meine Haare. Es war heiß, der Tragegurt klebte an meiner nackten Schulter. Ich lehnte mich dankbar zurück, wechselte das Plektron zwischen meinen Fingern und spielte diese Melodie, so ergreifend und bewegungsreich ich nur konnte. Ich lief hin und her, die traurige Energie in Musik zu verwandeln, stampfte, sprang und schlug den Bass an. Ich ries den Hals nach oben, hielt mich nur am Vibrato. Wie eine Welle, die zurück rollte erklang das Echo aus den mitwiegenden Leibern.
Als ich den letzten Ton gespielt, vibriert und bis zur letzten Sekunde ausgehalten hatte trat neben mir ein Saxophon auf die Bühne: Andy!
Mit nicht weniger Hingabe blies er sich die Backen auf und entlockte seinem Instrument Töne in allen Farben. Ich lief zurück, während Andy seine Interpretation dieser Melodie spielte, die keiner von uns kannte.
Auch er beflügelte den letzten Ton und wieder wurden seine Mühen und sein hochrotes Gesicht mit zustimmenden Schreien gedankt.
Ich griff die Whiskeyflasche, die auf einer mannshohen Box stand, stellte mich neben Andy und sah ihn an. Er lachte, das Schilfrohr noch immer zwischen den Lippen. Wir zählten nicht ein, wir wussten nicht warum. Aber wir spielten uns die Melodien zu, wie Tennisbälle. der Hals der Whiskeyflasche glitt über die Bünde. Andy bog sich, wie er die Töne bog, presste in Rücklage die letzte Luft aus seinen Lungen, beugte sich vornüber, küsste sein Instrument, wie kein Zweiter.
Ich schloss die Augen, griff Akkord um Akkord, extatisch, drehte mich dabei im Kreis, in der Musik. Da war nur das Saxophon und irgendwie wusste ich, als es Zeit wurde. Ich drehte den Volumeregler kaum merklich herab und schlug die Saiten an. Er holte noch einmal tief Luft, lies eine Pause entstehen, bevor er ein Solo begann, das mir in Mark und Bein fuhr. Jeder Ton war mit derart viel Liebe entstanden, jedes Intervall enthielt soviel Spannung und jeder neue Ansatz brachte eine Flut neuer alter Gedanken, Erinnerungen mit. Soviel Angst und Zweifel, soviel Hoffnung und Resignation brachen aus seiner Musik hervor, dass ich irgendwann kaum mehr fähig war zu spielen, sondern meine Gitarre still hielt und nur mit offenem Mund da stand.
Mit einem Mal war es Totenstille. Allein Andy, der in seiner eigenen kleinen Welt zu sein schien und sein Instrument waren existent.
Seine Melodie wurde langsamer, wie die letzten Tropfen, die aus einer Flasche rinnen. Als er den letzten Ton hielt, den letzten Tropfen aus dem Flaschenhals sog wurde es dunkel.
Gegenüber, auf der anderen Seite des Tisches, der vor Kerzenwachs und leeren Flaschen kaum freie Fläche zeigte, jenseits des Aschenbechers, in dem ein nicht zuende gerauchter Joint lag, saß Andy auf dem Sofa, seine Arme fest um das goldene Blech gelegt und mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Richie räkelte sich neben mir im Traum.
Ich wusste nicht wie laut, oder ob ich überhaupt gespielt hatte. Aber scheinbar hatte sich niemand stören lassen.
Vorsichtig lehnte ich die Les Paul gegen den Verstärker und schwang mich unter leichtem Stöhnen in die Höhe. Mir war schwindelig, aber ich hielt mich an der Rückenlehne des Sofas fest, als ich mich langsam zur Tür quälte. Die Sonne warf helle Lichtsäulen durch die Schlitze des Rolladens, die sich mühelos durch die dicke Luft schnitten.
Jede Bewegung tat weh, mein Kopf fühlte sich an, wie eine geplatzte Bratwurst.
Erst jetzt übersah ich die vier schlafenden, zusammengekauerten Gestalten. Hannah war auf Julians Schoß eingeschlafen. Patrick und Tilo teilten sich im hinteren Eck einen dreckgen Schlafsack in Neonfarben.
Die Tür führte ans Tageslicht, direkt in den Garten.
Kühle, frische Morgenluft kam mir entgegen, wie eine kühle, frische Dusche. Ich stand da, blinzelte in die Sonne, lies mir die Mief und den Rauch vom Körper waschen und fühlte mich leicht. Ich streifte meine Turnschuhe und die Socken ab, breitete die Arme aus und setzte die nackte Fußsohle auf das taunasse Gras. Der Boden war kühl und es kitzelte beim Gehen. Aus eine sehr merkwürdige und andere Weise ging es mir gut. Ich freute mich auf den Tag.